Der Begriff „Ernährungsumstellung“ tauchte auf meinem Schirm erstmals vor vielen, vielen Jahren im Zusammenhang mit dem riesigen und allmächtigen Doppel-W auf. Du weißt, was ich meine. Das sagten irgendwie die Leute, die da mitmachten und dann klopften sie mit so überlegen-wissendem Blick auf Ihren Doppel-W-Ordner. Erst hat mich das total eingeschüchtert. Was wussten die, das ich nicht wusste? Aber irgendwann verstand ich die Botschaft dahinter, die sie selbst aber anscheinend nicht kannten: „wenn du nicht wieder zunehmen möchtest, musst du für immer Diät halten“.
Ernährungsumstellung ist der Preis fürs „Abnehmen ohne zu verzichten“ – seit vielen Jahren die Haupt-Werbeaussage des Doppel-W – und bedeutet: Ein starres System wird durch ein anderes starres System ersetzt. System A hat mich dick gemacht, System B ist dasselbe System, ich will ja nicht verzichten, aber nun ist es von vermeintlichen Dickmachern befreit. Rührei ohne Eigelb, Halbfettmargarine mit Butteraroma, 0,1% Quark, es wird mit Wasser gebraten statt mit Fett, Hähnchen ohne Haut, Rumpsteak ohne Schwarte oder gleich durch Hähnchenbrust ersetzen und so weiter. Das passt zwar nicht zu Deiner Biochemie, ernährt Dich auch weder gut noch gesund, ist aber mit allen staatlichen Ernährungsempfehlungen erschreckend kompatibel. Da will man auch nicht auf Nudeln und Brot verzichten. Stattdessen verzichten wir doch lieber auf gesunde Ernährung.
Hatte ich eigentlich schon mal gesagt, dass das Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft ein Widerspruch in sich ist? Die müssen unbedingt getrennt werden. Ernährung muss zu Gesundheit, denn falsche Ernährung kann uns sehr, sehr krank machen. Die wirtschaftlichen Interessen der Landwirtschaft zu wahren und gleichzeitig darauf zu achten, dass wir uns Gesund ernähren, ist überhaupt nicht möglich. Dieses Ministerium ist ein einziger Interessenkonflikt.
Wie schon in den ersten Sendungen gesagt, glaube ich statt an ewig währende Diät, daran, dass wir uns darauf rückbesinnen dürfen, weshalb Lebewesen überhaupt essen und trinken und uns wieder ein gutes Stück mehr in diese Richtung bewegen, mit unserer Lebensweise, damit wir nicht pausenlos hungrig sind – oder Heißhunger haben. Menschen sind lustigerweise die einzigen Lebewesen, die eine Anleitung brauchen, was sie essen sollen – und was nicht. Alle anderen wissen das. Es sei denn, sie werden von Menschen gefüttert.
Sind wir doch mal ehrlich: der Grund für den Milliardenerfolg des übermächtigen Doppel-W war und ist die Idee mit der Nudelflatrate. Die ist marketingtechnisch auch absolut genial. Und irgendwie haben sie es immer wieder geschafft, die in ihr aktuelles System einzurechnen, was eine echte Leistung ist, weil der Rest eigentlich immer low-carbiger wurde – aber pssst! Das hören die überhaupt nicht gern. Low Carb ist schließlich das mit dem Verzicht. Und da stehen die ja drüber.
Abnehmen mit offensichtlichen Dickmachern und dadurch sehr begrenzten Kalorien funktioniert immer erstmal für ein halbes Jahr oder so. Das ist auch der Trick, mit dem das Kleisterzeug so erfolgreich ist. Es funktioniert immer erstmal. Bis zum Plateau. Dann hat man irgendwann frustriert die Nase voll und verzichtet für eine Weile auf wirklich gar nichts mehr. Mit Anlauf. Hoffentlich hat man für den Moment und viele, die auf ihn folgen, noch die alten Klamotten im Schrank. Und wenn man dann wieder in die kleineren Klamotten will, fängt man wieder mit genau derselben Sache an, eben weil es angfangs immer gut funktioniert. Von Mal zu Mal kommt allerdings das Plateau schneller.
Das Problem mit den Genussmitteln, auf die wir bitte gar nicht verzichten wollen, ist einfach riesengroß. Und mit Genussmittel meine ich hergestelltes Zeug, das zwar theoretisch essbar ist, Dich aber nicht mit Nährstoffen versorgt. Dazu gehört allem voran Zucker, annähernd alles aus Getreide und alle nicht-natürlichen Fette wie Margarine oder Saatenöle und alles, alles, alles, wo diese Sachen drin sind.
Ich will absolut weg von jeder Form der Diätmentalität. Weg von „ich mach jetzt Low Fat, High Fat, Keto, Vegan, Mediterran, Kohlsuppe, Ananas, Pipapo und noch was anderes“. Ich will einfach hin zu Leben und Lebendigkeit. Keine starren Konzepte mehr sondern ausprobieren, was ich mir vorstellen kann und beibehalten, was gute Erfolge bringt. Und das hat nichts damit zu tun, dass ich für immer auf Dinge verzichten will oder muss. Wenn Oma Apfelkuchen gebacken hat, ist da Liebe drin. Der muss gegessen werden. Mit Sahne. Du willst sie doch nicht traurig machen.
Jetzt fragst Du Dich bestimmt „Klingt alles gut und vor allem schön, aber wie komme ich da hin?“ Der erste Schritt in diese Richtung ist der, den Hunger nach Nährstoffen und den Appetit auf was Lustigeres, der aus dem Belohnungszentrum kommt, voneinander unterscheiden zu lernen. Das Prinzip dahinter ist recht einfach zu verstehen: Ich kann zum Beispiel keine drei Steaks essen aber locker die doppelte und dreifache Kalorienmenge in Muffins, Chips, Schogetten, Nutella, Würstchencroissants oder was auch immer. Genauso kann ich locker einen Drittelkasten Bier trinken, aber nicht dieselbe Menge Wasser in derselben Zeit.
Wenn Du Dir nach etwas Übung bei jeder inneren Essensaufforderung erklären kannst, ob sie richtiger Hunger ist oder der Wunsch nach Belohnung, kannst Du Deine Bedürfnisse besser beantworten. Will sagen: wenn ein Hüngerchen Dich plagt und Du keinen Bock auf Tomaten-Käse-Omelett hast, ist es wahrscheinlich das Belohnungszentrum, das etwas von Dir braucht. Die Frage ist: Braucht es immer was zu essen, oder ist das bloß der eingefahrene Weg?
Ich habe das öfters, dass alles in mir nach Würstchencroissants schreit. Ich fühle mich dann immer wie ein Sonnensystem. Mein Kopf ist die Sonne und alle Planeten sind Würstchencroissants, die drumrumkreisen. Und wehe mir, wenn das ein Tag ist, an dem ich einkaufen gehen muss. Ich verspreche mir dann immer selbst, auf jeden Fall ein Mal zu widerstehen. Das heißt, ich betrete den Supermarkt, steuere direkt auf die Backwand zu und schaue nach, ob Würstchencroissants da sind. Sind sie eigentlich immer. Dann drehe ich mich weg und mache meine ganzen Einkäufe. Irgendwann stehe ich dann ohne Würstchencroissant in der Kassenschlange und dann geschieht oft etwas absolut unglaubliches: Vorfreude fängt an. Und ich werde fast ein bisschen zappelig. Ich bezahle meine Einkäufe, sammle sie in meine Tasche und verlasse den Supermarkt. Ohne Würstchencroissant. Und in dem Moment fühle ich mich, als müsste ich jetzt mit Anlauf auf Knien über den kompletten Parkplatz gleiten. Mein Belohnungszentrum heult Rotz und Wasser vor Glück. Das ist so viel Glückshormon, so viele Würstchencroissants kann nichtmal ich essen. Das gelingt mir nicht immer. Aber inzwischen bin ich bestimmt bei 96%. Einfach, weil die Belohnung für kein Würschencroissant so wahnsinnig viel größer ist als die vergleichsweise bescheidene Belohnung beim Genuss eines Würstchencroissants.
Die Lebensmittelindustrie hat Mittel und Wege, uns Dinge zu präsentieren, auf die unser Belohnungssystem total abfährt. Genau die richtige Balance aus Fett, Zucker, Aromen und unwiderstehlicher Haptik. Die Pringles-Werbung „einmal gepoppt nie mehr gestoppt!“, heute heißt es da: „Geschmack, von dem man einfach nicht genug bekommt“, das ist kein Versprechen, das ist eine Drohung. Es gibt in der Natur kein Äquivalent für Pringles oder Snickers. Damit, dass jemand etwas erfinden könnte, das macht, dass Dein Belohnungssystem für ihn arbeitet, anstatt für Dich, hat die Natur nicht gerechnet. Und deshalb haben wir dagegen auch nur eine Waffe: Unseren Verstand. Wenn wir verstehen, wie uns die Industrie zu Biotonnen machen will, damit sie mehr verkaufen kann, haben wir die Wahl uns ganz bewusst dafür oder dagegen zu entscheiden.
Je nach Stimmung wird diese Wahl verschieden ausfallen. Wenn es sich beim Wunsch, abzunehmen eher um ein kosmetisches Problem handelt, also ich möchte gern abnehmen, weil ich mich dünner lieber leiden mag, ist es eventuell nicht ganz so einfach zu widerstehen, als wenn meine Gesundheit bedroht ist und mein Wohlbefinden spürbar auf dem Spiel steht. Menschen mit Laktoseintoleranz zum Beispiel verstehen meist irgendwann, dass sie deutlich mehr Lebensqualität haben, je seltener sie laktosehaltige Milchprodukte zu sich nehmen.
Unser Verstand kann sich Hilfe vom Körper holen, wenn wir es nur geschickt genug anstellen. Was ich Dir jetzt vorschlage, ist brutal aber wirkungsvoll: Lass mal bloß für drei Tage sämtliche Genussmittel weg und gib nur dem körperlichen Hunger Raum. Also kein Zucker, kein Getreide, keine Saat-Öle, kein Alkohol. Und auch nichts wo irgendwas davon drin ist. Genau auf die Zutatenlisten kucken, obwohl Sachen mit Zutatenlisten damit eigentlich sowieso wegfallen. In Fleischwurst ist zum Beispiel fast immer Zucker drin und bei Begriffen, die Du nicht zuordnen kannst, handelt es sich um Zucker, um Stärke oder um irgendwas, das Du sowieso nicht essen möchtest. Im Zweifel im Laden lassen. Stattdessen gibt es einfach richtiges Essen. Richtige Lebensmittel: Fleisch, Fisch, Eier, Gemüse, Früchte und natürliche Fette (Butter, Olivenöl, Schmalz etc.). Wasser, Kaffee, Tee, und Schokolade ab 90 Prozent aufwärts. Wenn Kaffee oder Tee süß sein müssen, sind Stevia-Erythrit oder Stevia-Tropfen eine Option.
Es sind bloß drei Tage, aber das ist ein wirklich hartes Experiment. Du kannst ganz leicht erkennen, wer schneller und gründlicher sattgemacht werden kann, Dein Körper oder Dein Belohnungszentrum. Dein körperlicher Hunger und Appetit ist absolut stillbar. Deine Genusssucht hingegen ist kaum wieder einzufangen, wenn sie erstmal losgelaufen ist. Wenn Du das aber einmal ausprobiert hast, ist es von da aus eine bewusste Entscheidung, sie überhaupt loslaufen zu lassen. Und Dein Belohnungssystem kommt mit „ich hab aber so Hunger“ nicht mehr so leicht zum Naschiregal, wenn Du sagst, ich will das nicht. Wenn das klappt, ist der Teufelskreis kaputt.
Die Ernährungsumstellung, aus meiner Sicht nach Doppel-W, ermöglicht Dir eine Ernährung, die diesen Teufelskreis für immer am Laufen hält. Die Sachen, auf die ich nicht verzichten möchte, machen Appetit auf die Sachen, auf die ich nicht verzichten möchte. Dieser Teufelskreis ist das Perpetuum Mobile, das auch die Industrie am Laufen hält: Die Lebensmittelindustrie, die Diätindustrie, die Pharmaindustrie, die Bekleidungsindustrie …
Mein Vorschlag dagegen ist total einfach: Iss richtige Lebensmittel und gönn Dir, auf gesunde Weise satt zu werden. Mach das für ein Vierteljahr und schau, ob sich Deine Appetite verändern oder nicht. Ach, und wenn Oma Apfelkuchen gemacht hat, muss der natürlich gegessen werden. Mit Sahne.
Die nächste Sendung wollte sich eigentlich um Zucker drehen. Ich hatte die Sendung „JENKE. Das Zucker-Experiment: Wie krank macht Zucker?“ gesehen. Hat mir gut gefallen. Falls Du diese Sendung irgendwo noch erwischst, schau sie Dir an, die ist wirklich sehenswert!